Muss ich mich für meine Zwänge schämen?

Dies ist eine sehr wichtige Frage, die leider allzu oft keine Beachtung findet. Die Antwort lautet natürlich: Nein! Zwänge sind eine Krankheit, für die sich niemand schämen braucht.

Und trotzdem ist dies für die Betroffenen leider gar nicht so einfach. Die Zwänge sind für sehr viele Zwangspatienten extrem schambesetzt. Dies ist auch vollkommen menschlich: Wer möchte schon gerne berichten, dass vielleicht der morgendliche Gang ins Bad an guten Tagen eine Stunde dauert, an schlechten Tagen mehr? Dass es vielleicht unmöglich ist, Türklinken mit der bloßen Hand anzufassen? Oder dass man nicht zusammen mit den anderen ins Restaurant gehen kann, weil man das Besteck nicht anfassen kann?

Ein sehr großes Problem stellen dabei auch die Zwangsgedanken dar, die bei vielen Betroffenen einen gewalttätigen, bedrohlichen Inhalt annehmen können, vor dem sie sich vielleicht sogar selbst fürchten, und den sie niemandem offenbaren wollen.

Es ist also ganz natürlich, dass viele Zwangspatienten sich für ihre Zwänge schämen und sie versuchen, diese nach Möglichkeit zu verbergen. Dies hat aber leider gleich mehrere negative Konsequenzen:

Zum einen leiden die Betroffenen doppelt: Die Zwänge an sich sind ja schon belastend genug - und jetzt kommen auch noch das Schamgefühl und die Befürchtung, etwas “unnatürliches” und “unnormales” zu machen, hinzu.

Zum anderen führt das Schamgefühl leider sehr oft dazu, dass sich die Betroffenen nicht erlauben, die vielleicht dringend notwendige Hilfe zu holen. Zwänge gehören zu den Krankheiten, die mit am häufigsten beim Arztbesuch verschwiegen werden. Und dabei wäre es so wichtig, sich so früh wie möglich Hilfe zu holen, denn je früher eine Zwangserkrankung “entdeckt” und behandelt wird, um so schneller kann auch ein Behandlungserfolg eintreten.

Was kann ich gegen das Schamgefühl machen?

Zunächst einmal: Machen Sie sich klar, dass Sie mit ihren Zwängen nicht alleine sind. Die Häufigkeit der Zwänge und Zwangserkrankungen liegt in Deutschland bei ca. 1-4%! Das heißt, in einer Großstadt wie München mit 1,4 Millionen Einwohnern leiden ungefähr 14 000 - 56 000 Menschen unter Zwängen. Nur leider “verstecken” dies die meisten so gut, dass es den Betroffenen sehr schwer fallen kann, im Alltag auf andere, “gleiche” Menschen zu treffen.

Dabei ist es für viele Zwangspatienten eine sehr wichtige Erfahrung, wenn sie bemerken, dass es andere Menschen gibt, denen es ähnlich wie ihnen selbst geht. So berichten zum Beispiel sehr viele Zwangspatienten nach einem Aufenthalt in einer psychotherapeutischen Klinik: “Das wichtigste für mich war, dass ich festgestellt habe, dass ich mit meinen Zwängen nicht alleine bin!”.

Bitte überlegen Sie deswegen, ob es Ihnen vielleicht möglich ist, mit anderen Menschen mit Zwängen Kontakt aufzunehmen, um sich mit ihnen über ihre Erfahrungen und Probleme auszutauschen.

Am besten ist dafür zumeist ein Aufenthalt in einer psychotherapeutischen bzw. psychosomatischen Fachklinik geeignet, der bei schwereren Zwängen überhaupt sehr sinnvoll sein kann, um in einem begrenzten Zeitraum möglichst viel über das Krankheitsbild und die Behandlungsmöglichkeiten kennen zu lernen. Fragen Sie vielleicht einmal bei Ihrem Hausarzt oder Ihrem ambulanten Psychotherapeuten diesbezüglich nach.

Sehr wertvoll kann auch der Besuch einer speziellen Selbsthilfegruppen für Menschen mit Zwängen sein. Die Adressen für Selbsthilfegruppen in Ihrer Umgebung können Sie zum Beispiel über die regionalen Selbsthilfekontaktstellen erfahren. Die Adresse Ihrer nächstgelegenen Selbsthilfekontaktstelle finden Sie im Telefonbuch bzw. im Internet oder über die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS) in Berlin (mehr...).

Weitere Informationen zu Selbsthilfegruppen für Betroffene und Angehörige bekommen Sie auch bei der Deutschen Gesellschaft für Zwangserkrankungen e.V..


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